Wie der Krieg nach Hofstetten kam
Peter Leuschner verfasste 2020 zur Erinnerung an den Krieg einen Bericht „Wie der Krieg nach Hofstetten kam“.
Vor genau 75 Jahren eroberten US-Einheiten die ersten Dörfer im Kreis Eichstätt. In Hofstetten befreiten sie 1200 verschleppte Kriegsgefangene
Es hätte symbolträchtiger nicht sein können: Nach viertägigen blutigen Kämpfen hielten Einheiten der 3. US-Infanterie-Division am 20. April 1945 auf dem Nürnberger Hauptmarkt inmitten der Trümmer der weitgehend zerstörten Stadt der Reichsparteitage eine Siegesparade ab – genau an Adolf Hitlers 56. Geburtstag, seinem letzten. Nur wenige Tage später ging auch in den Dörfern rund um Eichstätt das „Tausendjährige Reich“ zu Ende. Besonders dramatisch war dieses Ende in Hofstetten – weil amerikanische Verbände das mit rund 1200 Kriegsgefangenen überfüllte und von SS-Soldaten verteidigte 400-Seelendorf massiv unter Beschuss nahmen. Wie durch ein Wunder aber entging der Ort einer Katastrophe. Der damalige Ortsgeistliche Joseph Pfaller, Jahrgang 1901, führte nicht nur über diese schreckliche Zeit ein heute im Pfarramt Hitzhofen verwahrtes Tagebuch.
Tag für Tag, so schrieb der spätere Bischöflich Geistlicher Rat Pfaller, ein gebürtiger Pollenfelder, sei Hofstetten seit Anfang April 1945 mit zurückflutenden deutschen Truppen überfüllt gewesen. Dazu kamen ausgebombte Familien aus Ingolstadt und dem Saarland. Im örtlichen Schloss, seit 1861 Forstamt, war ein adeliger Ex-General des Ersten Weltkriegs aus Köln mit seiner Frau gestrandet.
Ein Schock muss für die überwiegend aus Frauen, alten Männern und Kindern bestehende Bevölkerung die Ankunft der etwa 1200 Kriegsgefangenen aus dem Raum Schweinfurt am 19. April 1945 gewesen sein. Sie wurden von den Wachmannschaften der Wehrmacht auf mehrere größere Scheunen verteilt. 600 Franzosen kamen gegenüber vom Schloss beim Mogl unter, wo anders 300 russische Offiziere, 200 Belgier sowie Serben, Kroaten, Polen und Italiener. Möglicherweise waren die Gefangenen als „Faustpfand“ vor den aus Westen anrückenden Amerikanern hinter die sich ständig verändernden Frontlinien getrieben worden.
Den Hofstetter Pfarrer Joseph Pfaller, der bis 1939 Kaplan in Ingolstadt St. Anton gewesen war, und Bürgermeister Xaver Schöpfel stellten sie vor fast unlösbare Probleme – nicht nur was die Versorgung von so vielen ausgezehrten Männern betrifft. Den Seelsorger trieb auch die Sorge vor möglichen Plünderungen und Racheakten nach der Befreiung der Kriegsgefangenen durch die Amerikaner um.
Heimlich knüpfte er Kontakt zu den Vertrauens-Leuten der Gefangenen, zu denen der Russen und vor allem zu zwei katholischen Militärgeistlichen, die unter den Franzosen waren. Am 24. April 1945 kündete sich auch für Hofstetten das Kriegsende an. Erste Verbände des 342. US-Regiments hatten in Pfünz auf der historischen Steinbrücke mit ihren Panzern die Altmühl überquert, andere hatten Gungolding erreicht, nur für Stunden gestoppt von SS-Leuten, deren sinnloser Befahl es war, eine Altmühlfront zu halten – um das rasche Vordringen der Amerikaner nach München, der „Hauptstadt der Bewegung“, und zur „Alpenfestung“ am Obersalzberg zu verhindern.
Nach den Recherchen des Ingolstädter Heimatforschers und Autors Hans Fegert („Luftangriffe auf Ingolstadt“) dürften die Verteidiger der erst am 27. März aufgestellten SS-Division „Nibelungen“ angehört haben. Am 25. April, dem „Markustag“, wie Pfarrer Pfaller vermerkte, überschlugen sich die Ereignisse. In größter Hektik richteten etwa 50 bis 70 Angehörige der SS in Hofstetten im Gasthof Krieglmeyer einen Gefechtsstand ein, Funktrupps besetzten den Kirchturm und den 16 Meter hohen Bergfried des Schlosses. Gegen 11.30 Uhr schoss sich amerikanische Artillerie auf das Dorf ein. Bange Stunden begannen, auch für die 1200 Gefangenen, deren Bewacher in der Nacht zuvor verschwunden waren. Schon die zweite Salve ging „seitwärts vom Schlossgarten nieder“. Ein belgischer Gefangener starb, ein anderer wurde verwundet.
Dann geschah das „Wunder“. Der Beschuss hörte auf, nur gegen 16.30 Uhr nochmal einige Granaten. Kurz vor 22 Uhr rückten die ersten US-Soldaten in Hofstetten ein – nachdem sich auch die SS-Einheit abgesetzt hatte. Der Pfarrer notierte stenogramm-artig, dass die Amerikaner durch einen Stoßtrupp von den vielen Gefangenen erfahren hätten und deshalb das Dorf verschonten. Hans Fegert hat den geheimen Funkverkehr der vorstoßenden Amerikaner ausgewertet, der im National-Archiv in Washington zugänglich ist. „Haben um 21.52 Uhr Hofstetten eingenommen. Die G-Kompanie wurde zeitweilig durch eine Straßensperre bei Hitzhofen aufgehalten.“ Um 23.50 Uhr: „Warten in Hitzhofen auf Panzer. Bereit zum Vorstoß…“ Bereits um 22 Uhr war von Hofstetten aus ein Funkspruch an einen der Kommandeure in dessen zeitweiligen Gefechtsstand in Pietenfeld gegangen: „Mein Boss sagt, wir müssen bei Tagesanbruch im Gelobten Land sein. Reißt euch zusammen.“ Damit war gemeint, dass die Amerikaner bereits am frühen Morgen des 26. April die Donau in Ingolstadt überquert haben wollten – mit dann freier Fahrt Richtung München. Auch den Nazis war das „gelobte Land“ südlich des Flusses wichtig. Paul Giesler, letzter Gauleiter von Oberbayern, hatte die Parole ausgegeben: „Bayern wird an der Donau und München in Ingolstadt verteidigt.“
Und auch das gehört zur Geschichte des Hofstetter Kriegsendes vor 75 Jahren: Am 28. April 1945 wurde eine aus Ingolstadt evakuierte 22-Jährige von „zwei betrunkenen Negerposten“, wie der Pfarrer schrieb, in „ganz grober Weise“ zwei Mal vergewaltigt. Außerdem hielt er auf seiner Reiseschreibmaschine fest: „Ein amerikanischer Posten erschoss grundlos zwei deutsche Soldaten, die ohne Waffen auf dem Marsch in die Heimat waren.“ Später korrigierte er seinen Text handschriftlich: „Der Amerikaner überließ die zwei deutschen Soldaten einem russischen Gefangenen, der dann die beiden erschoss am Wald gegen Pfünz…“ Wer nun wirklich geschossen hat, werden wir nie mehr erfahren. Die beiden Erschossenen, einer hieß Albert Steiner und war aus Berching, wurden mit drei am Dorfrand gefallenen SS-Männern unter „Anteilnahme der ganzen Bevölkerung“ auf dem Hofstetter Friedhof beerdigt.
Die weitere Anwesenheit der befreiten 1200 Kriegsgefangenen barg große Brisanz. Aber Pfarrer Pfaller notierte erleichtert: „Es kam zu keinerlei Ausschreitungen.“ Dass dieses schier unlösbare Problem gelöst werden konnte, war „ein Verdienst von Bürgermeister Schöpfel, dem die ganze Bevölkerung hilfsbereit zur Seite stand“. Mit einem Trick wurde der Geistliche nach drei langen Wochen die meisten Gefangenen endlich los. Pfaller erzählte ihren Vertrauensleuten von einer „viel reicheren Gemeinde“ namens Gerolfing, wo sie es viel besser als in Hofstetten haben würden. Doch aus Gerolfing wurde schließlich Buxheim. Lange danach hat er seinem dortigen katholischen Amtsbruder diese „Notlüge“ gebeichtet.
Leider enthält ein anderes in Hofstetten erhaltene Dokument keinerlei Aufzeichnungen über das Hofstetter Kriegsende: Das ab 1861 geführte Berichtsheft der im Schloss untergebrachten Forstbehörde. Für die Jahre 1943, 1944, 1945, 1946, 1947 und 1948 haben die jeweiligen Forstmeister nur mit Tinte ein ominöses „0“-Zeichen eingetragen. Schade! Denn auch das Flüchtlings-Drama, das dem von den Nazis angezettelten Weltkrieg folgte, traf das Schloss. Sowohl der Rittersaal im II. Stockwerk wie das Erdgeschoss waren zeitweise überfüllt mit Entwurzelten. Die letzte Familie blieb bis Anfang der 1960er Jahre.
Peter Leuschner
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